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Die Statistik-Märchen der Kirche

Einmal im Jahr veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland Zahlen zum kirchlichen Leben. Auch vor wenigen Tagen wieder. Und liest man die Pressemitteilung klingt das ziemlich toll alles. Schaut man sich die Zahlen aber genauer an, sieht es anders aus. Eine kleine Wutrede gegen die Statistik-Märchen der Kirche.

Liebe EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), bzw. liebe Statistiker, bzw. liebe Pressemitteilung-Schreiber,

ich habe da eine Bitte. Lasst uns doch ehrlich sein und unsere Situation nicht schön-rechnen oder schön-schreiben. In dieser Pressemitteilung habt ihr auf diese Statistik hingewiesen. Ihr haltet fest, dass am 31.12.2016 21.922.187 Menschen Mitglied der EKD waren. Ein Minus von 1,57% im Vergleich zum Vorjahr.

In der Pressemitteilung heißt es dann: „Zurückzuführen ist der leichte Rückgang wesentlich auf den demografischen Wandel in Deutschland. Im Jahr 2016 verstarben rund 340.000 Mitglieder der evangelischen Kirche.“

Rätsel: Demografischer Wandel

Nur… was ist dieser demografische Wandel in Deutschland eigentlich? Ich begnüge mich heute mal mit Wikipedia: „Als demografischer Wandel in Deutschland werden zusammenfassend verschiedene Veränderungen und Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung bezeichnet. Die Veränderungen betreffen

  • die Altersstruktur der Bevölkerung,
  • das quantitative Verhältnis von Männern und Frauen,
  • die Anteile von Inländern, Ausländern und Eingebürgerten an der Bevölkerung,
  • die Entwicklung der Geburten- und Sterbezahlen,
  • Zuzüge und Fortzüge.“

Weiter heißt es: „In Deutschland ist die Alterungsstruktur dadurch gekennzeichnet, dass seit 1972 die Sterberate (Mortalität) höher ist als die Geburtenrate […] Durch die höhere Lebenserwartung der Bevölkerung und gleichzeitig rückläufiger Geburtenrate steigt der Anteil älterer Menschen gegenüber dem Anteil Jüngerer.“

Also: In Deutschland sterben mehr Menschen als geboren werden. Und die Bevölkerung „überaltert“. Nichts Neues eigentlich. Soweit so gut. Interessant: Trotzdem ist die deutsche Bevölkerung auch 2016 gewachsen. Von 81,2 auf 82,2 Millionen (laut den Angaben in der EKD-Statistik).

Wir halten also fest: Der demografische Wandel bedeutet vieles, unter anderem, dass in Deutschland mehr Menschen sterben als geboren werden. Er heißt auch, dass die Bevölkerung „älter“ wird. Er besagt aber nicht per se, dass die Bevölkerungszahl schrumpft.

EKD-Engführung des demografischen Wandels

Was meint die EKD dann also, wenn sie meint, dass der Rückgang auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist? Im besten Fall meinen sie, dass die EKD ein Teil des demografischen Wandels trifft: nämlich dass mehr Menschen sterben als geboren werden. Der weitaus größere Teil des demografischen Wandels trifft die EKD aber offensichtlich nicht. Zuzug, Zuwanderung, Bevölkerungszuwachs – all das ist auch ein demografischer Wandel liebe EKD.

Die EKD-Mitgliedschaftszahlen schrumpfen also nicht wegen des demografischen Wandels und sie schrumpfen auch nicht in irgendeiner Weise „parallel“ zur Bevölkerungsentwicklung.

Nein, Fakt ist: Die Kirche hat auch 2016 wieder viele Mitglieder verloren. Und sich das mit einem demografischen Wandel schönzureden ist ein billiger Versuch. Und wie ich finde, auch ein ziemlich trauriger und nicht gerade kompetenter.

Märchenhafte Auslegung

Noch schöner wird es aber bei den Kirchenaustritten. Da jubelt man, dass die Austrittszahlen um 10% gegenüber 2015 zurückgegangen seien. Irgendwo auf Facebook las ich den Kommentar, dass das ungefähr so wäre, wie wenn jemand, der eigentlich abnehmen will, sich freut, dass er in diesem Jahr immerhin etwas weniger zugenommen hat. Irgendwie treffend.

Also: Was soll diese Schönrederei? 2015 sind 0,94% der Mitglieder ausgetreten. 2016 0,87%. Liebe EKD, das ist weiterhin gerundet irgendwie 1%. Und übrigens: Ihr schreibt: „Um weitere zehn Prozent gesunken ist hingegen erneut die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche.“ Ähm. Ich empfehle euch dann doch mal diese Webseite über die Entwicklung der Kirchenaustrittszahlen.

Was man da lesen könnte? Seit 1990 (bis 2015) sind 5.138.442 Menschen aus der EKD ausgetreten. In den 26 Jahren sind das im Schnitt 197.632 Menschen pro Jahr. Und jetzt kommen die 190.000 aus dem Jahr 2016 und werden als Erfolg verkauft? Ernsthaft? Kommt schon, was soll das?

Das Märchen der gestiegenen Verbundenheit

Achja, ich vergaß den wichtigsten Punkt der Pressemitteilung: „Damit bestätigt sich ein Ergebnis der jüngsten Kirchlichen Mitgliedschaftsuntersuchung (KMU) aus dem Jahr 2014, der zufolge die Verbundenheit der Mitglieder mit ihrer Kirche im vergangenen Jahrzehnt gestiegen ist.“

Woran auch immer ihr das fest macht – ich hoffe nicht, an euren eigenen Statistiken! Ich versuche es mal zu beschreiben: Ihr sagt, weil in diesem Jahr 10% weniger Menschen ausgetreten sind, zeigt das, dass die Menschen stärker mit ihrer Kirche verbunden sind. Mit Verlaub, aber wann auch immer für euch dieses Jahrzehnt anfängt… die 190.000 Austritte aus 2016 sind seit dem Jahr 2000 der dritthöchste Wert (die drei letzten Jahre waren die Jahre mit den höchsten Werten!). Also: Wo genau zeigt sich bitte an dem dritthöchsten Wert aus den letzten 16 Jahren, dass die Verbundenheit der Mitglieder angestiegen ist?

Wollt ihr mich eigentlich einfach nur übern Tisch ziehen oder lesen wir verschiedene Statistiken?

Schlecht auslegen kann ich auch!

Übrigens: Der Anteil an Kirchenmitgliedern ist 2016 von 27,43 auf 26,68% abgefallen. Das sind 0,75 Prozentpunkte. Und ich habe spaßeshalber auch mal eine schlechte Statistik entworfen bzw. besonders sinnvoll mit Zahlen gearbeitet. Wenn die EKD weiterhin pro Jahr 0,75 Prozentpunkte am Anteil der Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung verliert, dann sind wir in ziemlich genau 35 ½ Jahren schon durch mit der ganzen Miesere und haben keine Mitglieder mehr 😉

Nein im Ernst, ich habe einen Wunsch: Lasst uns das Statistiken falsch oder quer auslegen doch anderen überlassen und dafür selber ehrlich sein. Auch 2016 gab es keine Veränderungen, die Anlass geben, dass es „besser“ wird; irgendjemand irgendein Ruder herumgerissen hat oder sich irgendwas stabilisiert hat.

 

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2 Comments

  1. Jörg Arndt says:

    Es ist ohnehin merkwürdig, wie willkürlich die Kirche mit ihren eigenen Untersuchungen umgeht. So hat die jüngste Mitgliederstudie gezeigt, dass die Bindung an die Kirche dort am stabilsten ist, wo die Menschen ihren Pastor persönlich kennen. Was die Kirchenkreise aber nicht davon abhält, Stelle um Stelle zu streichen. Wohlgemerkt bei den Gemeindepfarrstellen. Kaum bei den Übergemeindlichen.

  2. Sehr berechtigte Kritik. Von solchen Versuchen, die Situation schönzureden, fühle ich mich veralbert. Auf „evangelisch.de“ hat man sich sogar zu der Interpretation verstiegen: „Mitgliederschwund in evangelischer Kirche gebremst“. Ich habe das dort auch kommentiert.

    https://www.evangelisch.de/inhalte/145076/21-07-2017/mitgliederzahlen-der-evangelischen-kirche-deutschland-2016

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