Während Corona haben viele Gemeinden ihre Gottesdienste live gestreamt. Keine schlechte Idee – nur in der Umsetzung wird nahezu überall der gleiche grundsätzliche Fehler gemacht. Wie es richtig geht? Wir müssen uns ein Beispiel an Fußball-Übertragungen nehmen!
Corona hat in der Kirche zu einem Kreativitätsschub und einer – zumindest in dieser Geschwindigkeit – nicht von mir für möglich gehaltenen Digitalisierungswelle geführt. Ein Trend aus der Corona-Hochphase: Gottesdienst-Livestreams. Also: weil keiner kommen konnte, hat man dann einen Gottesdienst in der je eigenen Kirche nur mit den Mitwirkenden (und den Technikern) durchgeführt. Das wurde gefilmt und live ins Internet übertragen. So konnte man Gottesdienst feiern, auch wenn man sich nicht treffen durfte.
Das ist natürlich keine schlechte Idee. Das kam sogar bei vielen gut an! Ich habe aus etlichen Gemeinden gehört, dass bei den Livestreams sogar zum Teil ganz neue „Besucher“ erreicht wurden.
Und auch seitdem Gottesdienste vor Ort wieder möglich sind, feiern einige Gemeinden weiterhin mit Livestreams. Es wird also vor Ort mit Besuchern gefeiert und zeitgleich ins Internet gestreamt. Auch das ist natürlich keine schlechte Idee. Denn so können die per Livestream dabei sein, die aus gesundheitlichen Gründen vor Ort nicht dabei sein wollen oder können und es können auch die per Livestream einschalten, die einfach viel lieber vom eigenen Sofa aus Gottesdienst feiern.
Ein falscher Ansatz
Also: ich sage nicht, dass Gottesdienst-Livestreams eine falsche oder schlechte Idee sind. Das Problem ist aus meiner Sicht nur: quasi überall machen wir gerade den gleichen Fehler bei den Livestreams. Denn wir übertragen einfach nur das Live-Geschehen, anstatt es überarbeitet und mit Mehrwert auszustrahlen.
Was ich damit meine, versuche ich am Beispiel Fußball zu verdeutlichen: Nehmen wir der Einfachheit halber den „Ohne-Corona-Fall“ an und gehen davon aus, dass jedes Wochenende Fußball Bundesliga ansteht. In 9 Stadien in ganz Deutschland finden Live-Fußballspiele statt. Man kann dort live dabei sein oder man kann die Spiele live im Fernsehen (auf Sky/DAZN) verfolgen oder man guckt am Abend Zusammenfassungen in der Sportschau oder einen Tag später auf Youtube.
Es gibt also eine Live-Veranstaltung und dann gibt es eine Live-Übertragung und zusätzlich noch Zusammenfassungen der Live-Events. Und es gibt Leute, die sind seit Jahrzehnten quasi jedes Wochenende live vor Ort dabei. Die haben eine Dauerkarte und reisen vielleicht sogar zu den Auswärtsspielen. Das „Live-vor-Ort-Erlebnis“ ist sehr hoch gestellt. Es gibt aber auch Leute wie mich, die gehen hin und wieder mal ins Stadion, aber eben nur wenn es passt oder ein größeres Spiel ansteht. Und es gibt auch Leute, die waren noch nie im Stadion oder nur einmal, aber gucken jedes Wochenende das Spiel „ihrer“ Mannschaft live im Fernsehen. Und ja, es gibt auch Leute, die gucken einfach Samstag Sportschau. Live-Spiele sind ihnen vielleicht zu langweilig, egal ob im Stadion oder vor Ort oder sie haben keine Zeit oder was weiß ich.
Was ich damit sagen will: Im Fußball gibt es ein „Event“, an dem man sehr verschieden „teilhaben“ kann. Das führt dazu, dass auch für die meisten Menschen „ihre“ Form dabei ist. Live vor Ort, live am eigenen Fernseher oder als Zusammenfassung später.
Eintönigkeit in der Kirche
Bei uns in der Kirche haben wir auch jedes Wochenende ein „Event“ (unseren Gottesdienst), aber die Möglichkeit der Teilhabe war bis vor kurzem sehr begrenzt. Man konnte live vor Ort dabei sein. Punkt. Daher ist es erstmal aus meiner Sicht sehr zu begrüßen, dass wir die Teilhabe-Möglichkeiten seit Corona ausgeweitet haben. Allein: wir sollten dringend über die Art und Weise reden.
Ich meine damit: stell dir vor, Fußballspiele würden so übertragen werden, wie unsere Gottesdienste aktuell. Wenn das Spiel um 15:30 Uhr los geht, dann läuft bis 15:29 und 59 Sekunden einfach nur ein Bild, auf dem steht „Gleich geht es los“. Und dann geht das Spiel los und du sieht das Stadion in der Totalen. Wenn der Ball eher Richtung rechtes Tor geht dann wechselt das Bild auf eine zweite Kamera, die grob die rechte Spielhälfte zeigt. Wenn es zu einer kniffligen Situation im Stadion kommt, z.B. die Diskussion ob es Hand war oder nicht, dann siehst du am Fernseher auch nicht mehr als im Stadion. Denn die drei Kameras geben nicht mehr her.
Was ich sagen will: jede Fußball-Übertragung ist keine bloße Übertragung, sondern bietet einen Mehrwert. Wenn ich zuhause auf dem Sofa sitze, dann kann mir nichts die Live-Atmosphäre ersetzen, aber dafür habe ich andere Vorteile. Z.B. Zeitlupen. Oder dass ich insgesamt viel näher dran bin und mehr sehe. Oder im besten Fall ein wirklicher Experte, der mir die Taktik erklärt.
Wir müssen den Mehrwert suchen
Keine Frage: ich kenne auch Leute, die wollen am liebsten ohne Kommentator und Schnickschnack ihr Spiel sehen. Aber selbst diese hätten keine Lust auf nur drei Kameraperspektiven ohne jeglichen Mehrwert. Und darum geht es am Ende: Mehrwert. Was kann der Gottesdienst-Livestream bieten, was das vor-Ort-Erlebnis nicht kann?
Aktuell folgen aus meiner Sicht im Prinzip alle Gottesdienst-Livestreams, die ich kenne, dem Ansatz: wir filmen, was vor Ort passiert, aber eigentlich ist es aus unserer Sicht am besten, wenn wir uns immer live treffen. Sprich: Gottesdienst-Livestream ist eher wie „Gottesdienst-Besuch zweiter Klasse“. Und das ist ein Problem. Denn damit vergeben wir echt viele Chancen!
Livestreams als echte Reichweiten-Vergrößerung verstehen
Wenn DAZN oder Sky oder die Sportschau ihr Programm machen, dann wollen sie ein möglichst geiles Produkt haben. Sie wollen, dass möglichst viele Menschen zugucken. Sagen sie damit, dass es nicht gut ist, ins Stadion zu gehen? Keineswegs! Bestenfalls sind ja alle Beteiligten erstmal einfach Fußball-begeistert und niemand will „dem Fußball“ schaden, sondern sie alle wollen es einfach nur möglichst gut darstellen und Freude daran haben.
Und genau das sollte auch unser Ansatz bei Gottesdiensten sein. Wir wollen doch im Prinzip einfach nur, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben. Freude daran haben. Und deshalb müssen wir aufhören zu bewerten, was gut und schlecht ist. Und wir müssen erkennen, dass in der Übertragung von Gottesdiensten ein enormes Reichweiten-Potential liegt.
Stell dir vor, es gäbe die Bundesliga nur live zu sehen oder mit so ein paar mickrigen Streams. Würde das dem Fußball oder den Vereinen gut tun? Auf keinen Fall! Sie alle profitieren davon, dass jedes Wochenende wieder dieses eine „Event“ möglichst vielfältig „auf den Markt“ geworfen wird.
Bunte Gottesdienst-Angebote
Und da müssen wir als Kirche auch hin! Wir machen ein richtig gutes Live-Event vor Ort. Wir feiern mit Leidenschaft Gottesdienst in unseren Kirchen. Aber wir investieren genauso in Konzepte, die dieses Live-Event in die Wohnzimmer und auf die Handys unterwegs bringen. Und das heißt eben, dass wir Konzepte benötigen, die über eine bloße „Übertragung“ hinausgehen. Wie würde es aussehen, wenn das Sportschau-Team einen Gottesdienst zusammenfasst? Wie würde es aussehen, wenn Sky an jedem Sonntag eine Gottesdienst-Konferenz macht? Wie könnten Vorberichte oder Nachberichte zu einem Gottesdienst aussehen?
In diese Richtung müssen wir – aus meiner Sicht – unsere Gottesdienst-Livestreams denken.
Und ja, das kann bedeuten, dass manche Leute nicht mehr in die Kirche vor Ort kommen, weil sie jetzt lieber die Zusammenfassung am Abend sehen. Oder vom Sofa aus die Übertragung. Aber es bedeutet vor allem, dass es für möglichst viele Menschen ein Gottesdienst-Format gibt, das ihnen zusagt.
Oder lasst es mich einmal in ganz groß denken: Die enorme Reichweite des Fußballs ist nur möglich, weil es die Übertragungen und die Sportschau gibt. Hätte irgendjemand darauf beharrt, dass das einzig wahre Fußball-Erlebnis nur im Stadion stattfinden kann… naja, kannste dir vermutlich selbst denken. Ich wünsche mir dagegen: lasst uns die Gottesdienste groß denken und den Menschen zutrauen, dass jeder so am Gottesdienst teilhaben wird, wie er oder sie es einfach gerne tut.
Und deshalb: lasst uns Gottesdienst-Livestreams nicht als Teilhabe zweiter Klasse denken und stattdessen mit voller kreativer Energie die Köpfe zusammenstecken oder vielleicht einfach mal bei Sky, DAZN und der Sportschau anrufen und fragen, wie sie unsere Gottesdienste auf die Fernseher und Bildschirme bringen würden. Hat da zufällig jemand eine Nummer parat? 😀
Das ist so ein Unterschied zwischen den evangelischen Gottesdiensten und den katholischen heiligen Messen. Bei der heiligen Messe kommt es tatsächlich darauf an, „live vor Ort“ dabei zu sein, das was einem dort geschenkt wird, kann einem kein noch so guter Livestream oder gar eine später angeschaute Zusammenfassung geben. Die Heilige Messe ist ja kein Event und es geht überhaupt nicht um Unterhaltung, sondern sie ist ein heiliges Geschehen, ein Teilhaben an der himmlischen Liturgie, das Eintreten in das große Geheimnis…. man legt sich selbst geistigerweise mit den Gaben auf den Altar damit das ganze Leben mit dem Kreuzesopfer Christi verbunden und dieses dann dem Vater dargebracht werde durch die Hände des Priesters, der in persona Christi, des ewigen Hohenpriesters handelt… zum Heil der Welt. Und dann der Empfang der heiligen Kommunion! So eine Freude, so eine tiefe, innige Verbundenheit mit dem Herrn!!! Wie soll ein Livestream oder gar eine Videozusammenfassung das je(!) ersetzen können? Wenn ich es mit etwas vergleichen müsste (nichts kommt dem gleich), wäre es in etwa so, als würde man vorschlagen, einen geliebten Menschen nicht mehr zu umarmen, sondern anderen live dabei zuzusehen, wie sie ihn umarmen oder sich später dann eine Videozusammenfassung von einer früheren Umarmung anzuschauen. Wer würde da sagen, das wesentliche Problem wären zu wenig Kameras? In einer menschlichen Beziehung wäre doch sofort offensichtlich, dass es um die Nähe zum geliebten Menschen geht, nach der man sich sehnt.. sein Gesicht sehen, seine Stimme hören….
Jesus sehnt sich nach uns. Nach uns!
Livestream-Messen können nichts anderes als eine Notlösung sein.
Auch ev. GDe leben von der gemeinsamen Erfahrung der Gegenwart des Ewigen. Und das ist im Video nicht 1:1 zu transportieren, weder mit noch ohne Abendmahl.
Aber beim *mitfeiern* vor dem Bildschirm kann mehr als nichts entstehen. Gottes Gegenwart ist nicht an den Kirchraum gebunden.
Und die neuen Formen sollen den (Live- bzw. Präsenz-)GD ja nicht ersetzen. (Also, außer bei zu hohen Infektionszahlen.) Nur ergänzen. Gute GDe sind immer *auch* Handwerk, und das folgt im Video eben anderen, vermutlich fachlich noch sauber zu entwickelnden Regeln.
Dass Gott selbst das Eigentliche schenkt, entbindet uns ja nicht von sorgfältiger Vorbereitung.
Bin da ein bisschen hin und her gerissen, einerseits stimme ich Jenni ziemlich umfänglich zu, andererseits auch Jonas, da mir das instinktive Würgen beim Genuss mancher Livestreams nicht unvertraut ist. In unserer (katholischen) Gemeinde gibt es in der Kirche noch kein Netz, so dass Livestreams ohnehin ausfallen. Also stellen wir ein zwei-drei Kameras auf und wursteln uns etwas Ansehnliches zusammen, um vor allen denen, die zu Hause bleiben (und durchaus Interesse an dem ganzen Kuchen, also keinem noch weiter aufgehübschten Stückchen) haben. Bei Interesse: https://www.st-antonius-kuenzell.de/videogottesdienste/
Hallo Jonas!
Stimme Dir zu 100% zu. Es geht ja nicht nur um die Corona-Zeit. Es werden die vergessen, die auch nach Corona nicht live am Gottesdienst teilnehmen können. Wie toll wäre es für diese Menschen, wenn dann richtige geile, Mehrwert bringende Live-Übertragungen da wären?
Um Dein Vorbild Fußball noch mal aufzugreifen: Wie cool wäre es, wenn nach dem Gottesdienst der Prediger gefragt würde: Sie haben heute über das Thema X gepredigt und Vers Y dafür ausgewählt. Warum das Thema und warum der Vers?
Für mcih ein wirklicher Traum!
Gesegnete Grüße,
Tom
Ja, ich träume inzwischen auch von so einer Art „Redaktion“, die z.B. den Gottesdienst danach in 5 Minuten zusammenfasst oder wie du meintest so Interviews im Anschluss macht etc… 🙂