Die Würde des Menschen ist unantastbar. Soweit die Theorie. In Kirche und Staat. Unabhängig davon, ob das nun stimmt oder nicht: Wie steht es eigentlich um die Achtung der Würde in unseren diakonischen Projekten und Einrichtungen? Behandeln wir die Menschen mit der maximal möglichen Würde? Ein Besuch einer Gemeinde hat mich zum Nachdenken gebracht. Über einen möglichen Grundsatz für unsere Diakonie: Würdenmaximierung!
Mal vorweg: Ich will hier nichts gegen die Diakonie sagen. Also gegen all die Projekte und Einrichtungen der Kirche, die sich vorrangig für die Armen, Schwachen, Kranken, Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft einsetzt. Trotzdem hat mich der Besuch einer Gemeinde sehr nachdenklich gestimmt – und in mir einen möglichen (neuen) Grundsatz für Diakonie entstehen lassen.
Nagut, um ehrlich zu sein: Der Grundsatz ist nicht von mir oder in mir entstanden. Es ist der Grundsatz, mit dem die Gemeinde arbeitet. Aber ich finde ihn durchaus sehr herausfordernd, obwohl er so simpel ist. Die Gemeinde hatte schon länger eine Art Hilfe für Geringverdiener und Obdachlose. Es gab z.B. eine Lebensmittelausgabe und eine Kleiderkammer. Und dann wollte man diese Arbeit ausbauen und stellte alle bisherige Arbeit unter eine Frage: Wie können wir die „Zielgruppe“ mit maximaler Würde behandeln?
Ein Supermarkt statt Lebensmittelausgabe
Was das praktisch bedeutet? Vorher war es so, dass alle Menschen, die Lebensmittel wollten, draußen warten mussten. Egal welches Wetter, sie standen Schlange im Regen, im Schnee. Die Maximierung der Würde war ein schön eingerichteter Wartebereich. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich das Finanzamt schön finde. Aber als ich vor kurzem dort war, musste ich an dieses Beispiel denken. Denn beim Finanzamt musste ich auch nicht draußen im Regen warten, sondern durfte wenigstens drinnen im Trockenen (und im Sitzen) warten.
Oder: Vorher wurden die Lebensmittel mehr oder weniger einfach ausgegeben. Wer bedürftig war, bekam eine Tüte mit Lebensmitteln. Wie geht da mehr Würde? Es wurde ein Supermarkt eingerichtet. Ja, ein Supermarkt. Und die Bedürftigen holten sich einen Wagen und konnten durch den Supermarkt gehen und einkaufen. Wie das funktioniert? Jeder Bedürftige wurde eingestuft und erhielt eine „Farbe“ und an jedem Lebensmittel stand kein Preis, sondern wieviel man davon maximal nehmen durfte – je nach Farbe. Wenn man z.B. eine ganze Familie ernähren musste, dann erhielt man eine andere Farbe als der Alleinlebende und durfte mehr einkaufen. An der Kasse des Supermarktes wurde dann nicht klassisch bezahlt, sondern eben geprüft, ob jeder im maximal zulässigen „Maße“ eingekauft hatte.
Noch ein Beispiel? Bislang wurde bei der Kleiderkammer einfach ausgegeben, was man hatte. Maximale Würde? Alle Kleider kosten ab sofort Geld. Klingt paradox? Die Idee war: Und wenn es nur ein oder zwei Euro sind – die Bedürftigen konnten kaufen. Und Kaufen ist ein Akt mit mehr Würde als etwas aus Bedürftigkeit geschenkt bekommen. Eine Mutter kann dort für ihr Kind etwas erwerben und zuhause dem Kind erzählen, was sie ihm heute gekauft hatte.
Maximale Würde für alle
Also: Alles Kleinigkeiten. Aber: ich fand den Ansatz einfach sehr spannend! Wie können wir die Bedürftigen mit maximaler Würde behandeln?
Ja, die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber so schön dieser Grundsatz ist – es gibt ja letztlich doch Abstufungen darin, welche Würde wir anderen Menschen zukommen lassen. Der Grad an Würde kann variieren. Und ich möchte hiermit auf keinen Fall sagen, dass irgendwer in unseren diakonischen Projekten Menschen unwürdig behandelt!
Aber mich würde sehr interessieren, was passiert, wenn wir alles, was wir so diakonisch tun, einmal gründlich überprüfen auf diese eine Frage hin: Wie können wir den Menschen, die zu uns kommen, maximale Würde zukommen lassen?
Ich freue mich auf Ideen und Beispiele von dir! Sind dir Einrichtungen/Projekte bekannt, die sich und ihre Arbeit vielleicht sogar genau nach dem Grundsatz immer wieder hinterfragen? Oder fällt dir spontan ein, was wo wie anders gemacht werden könnte? Ich bin gespannt und freue mich über deine Meinung!
Ich finde es gut, wenn man den Leuten mit solchen Maßnahmen das Leben leichter macht. Ich habe nur grundsätzliche Bedenken dagegen, Menschenwürde wie eine stetige Funktion zu denken. Entweder ist die Menschenwürde gewahrt oder sie ist es nicht, und dann muss etwas unternommen werden.
Die Entgegennahme von Lebensmitteln in einer Tüte z. B. und das Schlangestehen dazu sehe ich nicht als ein Antasten der Menschenwürde an.