Ja, ich war beim Ballett. Das Weihnachtsoratorium. Schön in einer Loge. Das hatte was. Und das hat mich auch auf einen Gedanken gebracht. Kirche und Ballett – irgendwie gibt es da durchaus Parallelen. Gut, und dann habe ich mich noch gefragt, was Jesus eigentlich zum Weihnachtsoratorium als Ballett sagen würde. Herausgekommen sind 5 Dinge, die Kirche vom Ballett (nicht) lernen kann.
1. Es bedeutet nichts, dass die Kirche Heiligabend voll ist
Nennt mich Kulturbanausen. Aber im Ernst: Ich habe diese Aufführung nicht verstanden. Was auch immer das für eine Geheimkultur ist. Mir ist sie fremd. Ich habe ungefähr zwei Zeilen Text in den 2 1/2 verstanden. Jauchzet, frohlocket. Auf preiset die Tage. Aber die Zeilen kannte ich auch vorher schon. Ansonsten… es wurde gesungen, es wurde musiziert und dann haben sich auch noch Menschen auf einer Bühne dazu bewegt. Der innere Zusammenhang – keine Ahnung. Nett war es trotzdem. Ich würde definitiv mal wieder zum Ballett gehen. Vielleicht wieder in der Zeit zwischen den Jahren. Ja, könnte ich mir sogar als Ritual vorstellen. Einmal im Jahr zum Ballett. Schick machen und hingehen. Dafür ist gar nicht wichtig, dass ich verstehe, was da passiert. Dafür muss ich Ballett gar nicht wirklich mögen. Für einmal im Jahr kann ich mir das gut vorstellen.
Ich glaube ich habe mich noch nie näher all denen gefühlt, die einmal im Jahr in die Kirche kommen. Man kommt, weil es durchaus nett und schön ist. Und ob man versteht, was da passiert, ist eigentlich egal.
2. Nur weil der Laden voll ist, ist es noch lange kein Erfolg
Ich habe überlegt, welche Konsequenzen es für die Hamburger Staaatsoper hätte, wenn es nahezu allen so ginge wie mir. Also dass sie so eine Ballett-Aufführung nicht verstehen. Und ich glaube, dass es ähnlich ist wie in der Kirche. Es gibt zwei Ebenen. Auf finanzieller Ebene ist es egal. Solange der Laden voll ist, macht die Oper (ich meine jetzt den Spielort, wo das Ballett war) ja „alles richtig“. Ähnliches gilt wohl für die Kirche: Solange genug Leute dabei bleiben (als Mitglied) bzw. an Heiligabend kommen… ist das ja eigentlich ganz gut.
Schwierig wird es nur, wenn man auch etwas vermitteln möchte. Bzw. einen Anspruch hat. Wenn ich mit dem Ballett einen künstlerischen Anspruch habe. Ja, etwas ausdrücken möchte. Dann ist es schon wichtig, dass die Zuschauer es verstehen. Gleiches gilt für die Kirche. Wenn wir den Leuten etwas mitgeben wollen, dann muss mehr zählen, als nur „an Heiligabend ist es voll“ oder „Solange sie Mitglied bleiben ist doch okay“.
Hinzu kommt: Ich bin mir recht sicher, dass die Oper auch gerne eine Bindung mit mir eingehen würde. Mich als regelmäßigen Besucher gewinnen möchte. Natürlich ist es auch möglich, dass einfach jeder Mensch nur einmal im Jahr zur Oper geht, ggf. ist es dann trotzdem immer voll. Wäre ja bei uns in der Kirche auch möglich. Denke ich mal. Aber ich bin mir sehr sicher, dass die Hamburger Staatsoper nicht nur „Einmalgänger“ haben möchte. Und dass das auch damit zusammenhängt, weil man Anspruch hat und die Bindung sucht.
3. Es braucht die Jugend nicht unbedingt
In Kirche sagt man immer wieder, dass die Jugend die Zukunft sei. Ich bin mir da ehrlich gesagt nicht so sicher. Beim Ballett war der Altersschnitt gefühlt sehr ähnlich wie bei uns in der Kirche – aber stört das eigentlich wirklich jemanden? Ich meine, wenn einfach immer genug der Alten zur Oper gehen… dann braucht es die Jugend da ja nicht. Vielleicht finde ich ja im Alter auch noch einen Zugang zum Ballett… dann gehe ich die ersten 50 Jahre meines Lebens eben nicht hin, die zweiten 50 aber schon (ja ich bin optimistisch, was mein Lebensalter angeht).
Übrigens: In Hamburg gibt es (glaube ich immer noch) auch eine Art „junge Oper“, ein Projekt womit die Oper in Hamburg versucht jüngeres Publikum anzuziehen. Es wäre aber wirklich mal sehr interessant herauszufinden, ob Kirche und Oper nicht eigentlich in sehr ähnlichen Gefilden unterwegs sind. Die Kirche jammert ja immer, dass der demografische Wandel sie so sehr treffen würde. Das halte ich ja für relativen Blödsinn und eine billige und schlecht informierte Ausrede der Kirche – so in der Pauschalität. Vielleicht maile ich der Oper mal und informiere mich. Ich werde dann berichten, wenn was Spannendes herauskommt.
Was ich aber eigentlich sagen will: Mir schien es so, dass die Oper bzw. das Ballett auch so ganz gut läuft. So ohne junge Leute und ohne Versuche jung und hipp zu sein. Die haben da einfach ihr Ding durchgezogen. Für mich wirkte das zwar alles zusammenhangslos, aber ich kann bestätigen, dass andere Menschen es verstanden haben (oder zumindest behauptet haben ;-)).
4. Ballett wird niemals alle ansprechen
Ich glaube, egal wie man es dreht und wendet. Ballett wird einfach nicht alle Menschen ansprechen. Es ist ein Angebot für eine bestimmte Zielgruppe. Woran das liegt? Ich denke, dass es vor allem an der Form liegt – und nicht am Inhalt. Und da wird es so richtig spannend mit Blick auf Kirche. Denn Ballett definiert sich ja vor allem über die Form. Der Inhalt eines Ballettes (also sagen wir mal das Stück an sich) könnte auch als Musical z.B. aufgeführt werden und würde dann ganz anders aussehen. Und wie ist das dann bei Kirche?
Kommen wir mehr über die Form oder mehr über den Inhalt? Okay, ich gebe zu, jetzt wird es schwierig, weil ich mit meinen Vergleichen und Bildern ungenau arbeite. Ich versuche meine Gedanken für dich zu ordnen:
Die Frage ist für mich: Ist Kirche eigentlich das Ballett oder die Hamburger Staatsoper? Kurze Pause. Weiter gehts. Was ich damit meine: Ballett wird immer nur eine gewisse Zielgruppe ansprechen. Das liegt daran, dass sich Ballett über die Form definiert. Wenn Kirche nun wie Ballett ist, dann können wir einfach niemals alle Leute ansprechen. Weil einfach nicht alle Menschen auf Ballett stehen.
Wenn Kirche nun aber eher wie die Hamburger Staatsoper ist, dann sieht es schon anders aus. Denn in der Hamburger Staatsoper werden ja auch Opern gespielt. Man könnte dort aber auch Musicals spielen. Oder ein Rock-Konzert. Eine Lesung. Einen Ringkampf. Ja meine Güte, man könnte da sogar Gottesdienst feiern. Verstehst du was ich meine? Die Staatsoper hat natürlich ein bestimmtes Klientel und Ziel und wird deshalb keinen Ringkampf oder Gottesdienst dort abhalten, aber es wäre zumindest möglich. Denn sie definiert sich lange nicht so starr über die Form wie das Ballett.
Und weiter gehts in diesem kruden Vergleich: Meine Frage ist dann: Worüber definiert sich die Oper am Ende? Was ist ihr Inhalt? Wer entscheidet, was dort gespielt wird und was nicht? Mehr klassische Opern oder doch Operetten? Oder mal was ganz Experimentelles? Und was ist das Ziel hinter all dem? Den Laden voll bekommen? Oder der künstlerische Anspruch? Oder was ganz anderes?
Und damit sind wir endlich bei der Kirche. Gefühlt führen wir uns in Kirche auf, als wären wir Ballett. Die Form ist das Wichtigste. Es muss bei uns getanzt werden, denn wenn nicht getanzt wird, dann sind wir kein Ballett, ähm, ich meine natürlich Kirche. Aber das ist Bullshit. Wir sind mindestens eine Hamburger Staatsoper. Wenn nicht sogar eigentlich die Kulturbehörde Hamburgs.
Wir definieren uns nicht über unsere Form. Wir bleiben Kirche, auch wenn wir völlig andere Formen annehmen. Ballett ist eben irgendwann kein Ballett mehr, wenn man es zu stark verändert. Wir bleiben Kirche, egal welche Form.
5. Entscheidend ist der Inhalt
Und das führt zum letzten Punkt. Der wird auch wirklich kurz. Hätte auch noch in Punkt 4 gepasst, aber ich fand, dass fünf Punkte runder klingt. Unser Inhalt definiert uns als Kirche. Die Menschen sollten Kirche an ihrem Inhalt und nicht an ihrer Form erkennen. Wir sind kein Ballett. Und es reicht uns nicht, wenn der Laden einmal im Jahr voll ist. Und es sollte uns definitiv stören, wenn man nicht versteht, was wir tun.
Ich werde mich nicht über Ballett aufregen. Ich finde es nicht schlimm, dass es sowas gibt. Es ist einfach nur nicht meins. Und vielleicht stört das die Ballettbegeisterten nicht. Vermutlich werden sie aber sagen, dass ich es nur noch nicht richtig verstanden habe. Und im besten Fall erklären sie mir dann, was wie gemeint ist und warum dies oder das besonders toll war.
Weißt du was? Ich würde so gerne von einem Ballettbegeisterten überzeugt werden. Ich möchte seine leuchtenden Augen sehen. Spüren, wie viel Freude es ihm macht, diese Aufführungen zu sehen. Und vielleicht kann ich dann die Begeisterung nicht direkt teilen, aber ich hätte das Gefühl, dass es sich lohnt ins Ballett zu gehen. Und zwar häufiger als einmal im Jahr.
Und jetzt habe ich mich fast in Rage geschrieben und möchte spontan einen 6. Punkt anfügen:
6. Weihnachten braucht Begeisterung
Weihnachten ist noch eine Weile hin. Aber seitdem ich im Ballett war denke ich mir: Das ist echt eine Chance. Eine Chance Leuten zu zeigen, warum man selber nicht nur einmal im Jahr zum Ballett geht. Sondern immer mal wieder. Und ja ich weiß, dass mein Bild und meine Vergleiche irgendwo alle hinken. Und ich höre jetzt auch schon auf. Und wünsche dir ein frohes neues Jahr. Falls du noch einen Vorsatz für 2018 suchst: Geh doch mal ins Ballett. Ist gar nicht so anders, als für viele Leute der Weg in die Kirche.
PS.: Was ich ganz vergessen habe, ist das mit Jesus und dem Ballett. Ich muss schon sagen… ich habe mich zwischendurch gefragt, ob Jesus sich sowas hat träumen lassen. Tausend Menschen – oder wieviele da in die Oper passen – sitzen 2 1/2h da und schauen Menschen beim tanzen zu, die das Evangelium irgendwie versuchen auszudrücken… also irgendwie… eigentlich schade, dass die Bibel da so wenig aussagt. So eine Tanznummer der Jünger? Wär doch bestimmt auch bei den Griechen gut angekommen, oder nicht? Naja… vielleicht wurde es ja auch einfach nur nicht überliefert. Oder der Vatikan hält es geheim. Naja, ich werde mal Dan Brown fragen, der weiß sowas ja für gewöhnlich 😉
Klasse Artikel! Lustvoll statt jammerig! Ich hoffe, diese Deine Stimme wird noch oft (oder überhaupt) in der Kirche zu hören sein.
Wenn mir die körperliche Ausdrucksform ungeheuer wichtig wäre und Ballett das einzige, wo so etwas seriös und mit Niveau angeboten würde, dann würde ich regelmäßig zum Ballett gehen, auch wenn mich Tütüs, bestimmte Eitelkeiten, klassische Musik und anderes eigentlich nervten.
So ähnlich geht es mir mit Kirche. Christlicher Glaube ist mir wichtig, Kirche bietet den seriös und mit Niveau an, deswegen gehe ich hin, auch wenn mich Talare, konfessionelle Gebietsmarkierungen, käsig gedichtete und komponierte Choräle und einiges anderes gehörig nerven.